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Kurdische Studien 1+2/2003

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Titel:
Kurdische Studien
3. Jahrgang 2003, Ausgabe 1+2
Info:
ISSN 1617-5417
3 (2003) 1+2

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Kurdische Studien
3. Jahrgang 2003 Heft 1+2

Editorial

Die hier in neuem Format vorliegende Doppelnummer der Kurdischen Studien setzt sich schwerpunktmäßig mit der Thematik kurdisch-armenischer Beziehungen auseinander, ein Thema, das aufgrund der oft geleugneten Beteiligung der Kurden am Völkermord an den Armeniern Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von besonderer politischer Brisanz ist. Auch unter vielen kurdischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gilt die Diskussion dieses Themas als Tabu, die Verantwortung für die Ermordung der Armenier wird in der Regel einseitig der türkischen Bevölkerung bzw. der osmanischen Regierung zugeschrieben. Dass Kurden und Armenier bis in die Gegenwart teilweise historische Ansprüche auf dieselben Gebiete erheben, macht die Diskussion nicht leichter.

Ursprünglich war vorgesehen, im Jahr 2003 gemeinsam mit einer Gruppe junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus der Schweiz einen Workshop zum Thema armenisch-kurdische Beziehungen zu organisieren, ein Vorhaben, das aus finanziellen Gründen nicht zu verwirklichen war. Um so erfreulicher ist es, dass das Thema zumindest in diesem Heft einen Schwerpunkt bildet: Dominik J. Schaller setzt sich in seinem Beitrag mit der Wahrnehmung armenisch-kurdischer Beziehungen in Deutschland bis 1923 auseinander. Dabei macht er zwei konkurrierende Konzepte aus: Gemäß dem ersten wurde das »Kulturvolk« der Armenier zum Opfer »mordlustiger« Kurden, während in der umgekehrten Sichtweise die anatolischen Armenier Türken und insbesondere Kurden zu Übergriffen »provozierten«, da sie die kurdische Landbevölkerung ökonomisch ausbeuteten. Im übrigen seien die Armenier im Gegensatz zu den zwar »wilden« aber doch »edlen« – da »arischen« – Kurden »rassisch minderwertig« und mit den Juden verwandt. Konkretes Beispiel für eine explizit negative Haltung gegenüber den Armeniern ist der im Dokumentationsteil präsentierte Reisebericht des Orientalisten Oskar Mann. In einem Vortrag über seine Reise ins osmanische Kurdistan in den Jahren 1906/1907 verbreitet Mann das Vorurteil vom »geldgierigen« und »hartherzigen« Armenier. Im Gegensatz dazu beschreibt er die Kurden durchweg positiv, so etwa als »gastfreundlich« und »von Natur bescheiden«. Von derartigen Vorurteilen abgesehen sind seine Reisebeschreibungen jedoch sowohl informativ als auch außerordentlich unterhaltsam, und insbesondere das vielfältige Bildmaterial – es handelte sich um einen Diavortrag – die Veröffentlichung sicherlich wert.

Zwei weitere Aufsätze, von Jordi Tejel und Vahé Tachjian, beschäftigen sich mit kurdisch-armenischen Beziehungen zur Zeit des französischen Mandats. Die Beiträge ergänzen einander insofern, als dass Tejel in erster Linie Kurdologe, Tachjian hingegen ausgewiesener Kenner der armenischen Geschichte ist. Neben vielen anderen Aspekten interessant ist hier der Versuch der kurdischen respektive armenischen Organisationen Khoybun und Daschnaktsutiun, eine gemeinsame ideologische Basis von Kurden und Armeniern zu konstruieren: Unter Rekurs auf eine die beiden Völker verbindende »arische Herkunft« und in Opposition zu »asiatischer Finsternis« und »osmanischem Despotismus«, denen dieser Lesart nach die Türken verhaftet sind.

Mit ihrem Aufsatz zum Bild der Kurden bei Karl May schließt Sabine Skubsch zum einen an ihren Beitrag in der letzten Nummer der Kurdischen Studien an, in dem sie sich mit dem Kurdenbild der Solidaritätsbewegung auseinandersetzte. Zum anderen aber stellt ihr Aufsatz eine interessante Ergänzung sowohl zum Beitrag von Dominik J. Schaller, als auch zum Reisebericht Oskar Manns dar. Karl May, so Skubsch, beschreibt die Kurden zwar einerseits als »wild« und »gewalttätig«, andererseits jedoch auch als äußerst »gastfreundlich«. Besonders positiv stand er yezidischen Kurden gegenüber, die er u. a. als ausnehmend »bescheiden« charakterisierte. Wenig Sympathie hingegen brachte May – wie übrigens auch Oskar Mann – türkischen Beamten entgegen, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht bzw. faul und ausschließlich an ihrem Verdienst interessiert seien. Auch für die Armenier hatt e May off ensichtlich nicht viel übrig – Schaller verweist auf diesbezüglich deutlich rassistische, antisemitischen Zuschreibungen ähnelnde Darstellungen dieses Autors.

Neben dem Themenschwerpunkt kurdisch-armenische Beziehungen fi nden sich im vorliegenden Heft zwei Beiträge zur gesellschaftlichen Integration kurdischer Jugendlicher in der europäischen Diaspora. Chirine Mohseni behandelt so unterschiedliche Themen wie soziale Mobilität, Heiratsstrategien, Interesse an der kurdischen Frage und Partizipation am sozialen und politischen Leben kurdischer Jugendlicher der zweiten Generation in Frankreich. Ingrid Ausserer, Mark Bittner und Ayhan Koldaș hingegen konzentrieren sich auf die Position kurdischer Jugendlicher in Bildungshirarchie und Arbeitsmarkt in Österreich.

Schließlich beinhaltet diese Nummer zwei weitere Dokumentationen. Die eine, verfasst von Sebastian Cwiklinski, beschäft igt sich mit der Rolle der Kurden in der deutschen Orientpolitik im Ersten Weltkrieg – in diesem Beitrag findet sich noch einmal ein Hinweis auf Oskar Mann. Die andere, geschrieben von Birgit Ammann, ist den Münchner Jahren der Brüder Bedir-Khan gewidmet. Darüber hinaus enthält natürlich auch diese Ausgabe der Kurdischen Studien Rezensionen, Zeitschriftenschau, Tagungsbesprechungen und Termine.

Berlin, im Mai 2004
Die Redaktionsleitung

Inhalt

  • Dominik J. Schaller
    »Armenische Krämer« und »kurdische Mordbrenner«: Armenisch-kurdische Beziehungen und ihre Wahrnehmung in Deutschland bis in die 1940er Jahre
  • Jordi Tejel
    Kurdisch-armenische Beziehungen unter französischem Mandat in Syrien und im Libanon (1927–1946)
  • Vahé Tachjian
    Khoybun und Daschnaktsutiun: Eine ungewöhnliche kurdisch-armenische Allianz
  • Sabine Skubsch
    »Ein Kurde ist kein heuchelnder Grieche …«: Das Kurdenbild Karl Mays
  • Chirine Mohseni
    Kurdische Immigranten der zweiten Generation in Frankreich
  • Ingrid Ausserer, Marc Bittner & Ayhan Koldaş
    Berufsperspektiven kurdischer Jugendlicher in Wien

Dokumentation

  • Ein Diavortrag Oskar Manns über seine Kurdistanreise 1906/07 (Siamend Hajo & Eva Savelsberg)
  • Zur Rolle der Kurden in der deutschen Orientpolitik im Ersten Weltkrieg (Sebastian Cwiklinski)
  • Die Münchner Jahre der Brüder Djeladet und Kamuran Bedir-Khan (Birgit Ammann)

Rezensionen

  • Ahmed & Gunter (Hrsg.), Kurdish exodus (Birgit Ammann)
  • Østergaard-Nielsen, Transnational politics (Eva Savelsberg)
  • Abbas, Das ungeschriebene Buch der Kurden (Martin Zähringer)
  • Yûsiv, Der schwangere Mann (Judith Wolf)
  • van Bruinessen, Agha, Scheich und Staat (Sebastian Cwiklinski)
  • Fischer-Tahir, »Wir gaben viele Märtyrer« (Thomas Uwer)
  • Beestermöller, Krieg gegen den Irak (Eva Savelsberg)

Zeitschriftenschau

Tagungsberichte

  • »Sempozyum ›andilde eğitim‹«, Ankara, 28.–29. Juni 2003 (Sabine Skubsch & Michael Bernreuter)
  • »Yeziden – eine alte Religionsgemeinschaft zwischen Tradition und Moderne«, Celle, 10.–11. Oktober 2003  (Irene Dulz)

Termine

Abstracts

English Abstracts

Die Autorinnen und Autoren

15. Oktober 2019